Erinnerungen von Überlebenden an das Jugend-KZ und den Vernichtungsort Uckermark

Dienstag 4.8.

“Wir gingen zu Fuß von Ravensbrück nach Uckermark. Wir wünschten, dass es ein so schöner Ort sei, wie er aussah, aber das erwies sich als Illusion.” Stanka Krajnc Simoneti

Ein Blick auf das ehemalige Lagertor auf dem Gelände des KZ Uckermark. Links steht ein Schild mit dem Zitat einer Überlebenden: "Wir gingen zu Fuß von Ravensbrück nach Uckermark. Wir wünschten, dass es ein so schöner Ort sei, wie er aussah, aber das erwies sich als Illusion." Stanka Simoneti. Davor liegen ein paar rot markierte Steine, dahinter sind Bäume.

Einige Überlebende des Jugendkonzentrationslagers und des Vernichtungsorts Uckermark haben von ihren Erfahrungen vor, während und nach der Zeit im KZ erzählt. In großer Dankbarkeit dafür möchten wir heute einige ihrer Berichte teilen und Einblicke in ein paar persönliche Biografien geben. Zusammengestellt haben wir Material von und über Stanka Krajnc Simoneti, Łucja Barwikowska, Anni Kupper, Anita Köcke und Irma Trksak. Wir denken an sie und an alle anderen, die im KZ Uckermark gefangen waren und gelitten haben.

Alle Porträts (Kurzbiografien) sind der Ausstellung mit begleitender Textsammlung  der Hamburger Uckermarkgruppe entnommen. Die anderen Materialien stammen aus verschiedenen Quellen.

Stanka Krajnc Simoneti

„Die beiden Jugend-KZ für Buben in Moringen und Madeln in Uckermark wollte man eigentlich nach dem Krieg verschweigen. Doch es ist alles da.“

Stanka Krajnc Simoneti, eine alte, lächelnde Frau mit halblangem weißem Haar, spricht in ein MikrofonStanka Krajnc Simoneti wurde 1928 geboren und wuchs in Radwanje bei Maribor auf. Nachdem Slowenien von der deutschen Besatzungsmacht besetzt worden war, ging sie in den Partisan*innenwiderstand. Im Januar 1944 wurde sie verhaftet, im Mai 1944 von der SS ins Jugend-KZ Uckermark deportiert. Sie war bis April 1945 im KZ Uckermark, erlebte die Befreiung in Güstrow. Über die Zeit nach der Befreiung sagt Stanka: „[…] wir freuten uns des Lebens. Wir waren so jung, dass wir noch viel Lebenskraft in uns hatten. Wahrscheinlich sind wir durch diese schweren Zeiten deformiert worden. Wahrscheinlich sind wir anders, als wir sonst geworden wären. […] Aber sonst sind wir glücklich, dass wir leben.“
Bis heute setzt sich Stanka aktiv für einen Gedenkort Uckermark ein.

Łucja Barwikowska

„Sprechen konnten wir überhaupt nicht. Beim Arbeiten nicht, auf der Straße nicht. Kein Abendbrot bekamen wir, wenn jemand gesprochen hat.“

Lucja Barwikowska, eine alte Frau mit konzentriertem Gesichtsausdruck, steht auf einer Wiese und spricht in ein Mikrofon. Vor ihr steht ein Blumenstrauß. Hinter ihr sitzen zuhörende Menschen auf dem Gras.Łucja Barwikowska wurde 1927 in Pruszcz bei Gdańsk (Polen) geboren. Im Mai 1943 wurde sie in Tczew verhaftet – im Rahmen einer Racheaktion der deutschen Wehrmacht. Denn ihr Bruder, zwangsrekrutiert von der deutschen Wehrmacht, war zusammen mit weiteren jungen Männern desertiert. Łucja wurde zunächst für ein Jahr ins KZ Stutthof deportiert und im Mai 1944 ins Jugend-KZ Uckermark. Die Befreiung erlebte sie 1945 in Fürstenberg (Havel). Łucja hat Jahrzehnte nicht darüber gesprochen, was sie während ihrer Gefangenschaft erlebte – auch nicht in ihrem Familienkreis. 2008 wagte sie zum ersten Mal den mutigen Schritt und erzählte ihre Geschichte auf einem Uckermark-Forum in der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück. Sie ist seitdem viele Jahre zu Bau- und Begegnungscamps, Befreiungsfeiern und anderen Veranstaltungen in die Uckermark gereist, begleitet von ihrem Sohn Marek und ihrer Schwiegertochter Beta. Sie lebt in der Nähe von Gdańsk – und wünscht sich eine Welt, die für alle gut ist!

Anita Köcke

„Ich war frech und ein Querkopf und hab mir nie etwas gefallen lassen.“

Anita Köcke spricht in ein Mikrofon, neben ihr ist eine weitere Person, dahinter Bäume ohne Blätter.Anita Köcke wurde 1927 in Weimar geboren. Das Jugendamt hatte die Vormundschaft für sie, sie musste wechselnd bei Verwandten, in einer Pflegefamilie und in Heimen leben. Nach der Schulentlassung absolvierte sie das sogenannte Landjahr auf einem Bauernhof. Dort wollte sie nicht bleiben: „Ich bin mehrere Male einfach weggelaufen. Und das wurde dem Jugendamt gemeldet. Ich habe es nirgends lange ausgehalten, ich war ein Wandervogel. […] Das Jugendamt war hinter mir her, weil ich meiner Meldepflicht nicht nachkam. Und so ist mein Leben verlaufen, ich kam ins Gefängnis und dann von einem Gefängnis ins nächste.“ 1943 kam Anita Köcke als sogenannte >Asoziale< im Alter von 18 Jahren in das Jugendkonzentrationslager Uckermark. Dort und im KZ Ravensbrück musste sie bis zur Befreiung im April 1945 u.a. Zwangsarbeit für Siemens leisten. 2001 besuchte Anita zum ersten Mal die Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück und das Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Uckermark. Sie starb 2005.

  • Hier geht es zu ihrem Porträt.
  • In einem online verfügbaren viertelstündigen Dokumentarfilm beschreibt Anita Köcke ihre Erfahrungen vor, während und nach der Haft (Interview zum 60. Jahrestag der Befreiung, Film von Andrea Behrendt, 2005).
  • Eine Rede von Anita zum 60. Jahrestag der Befreiung ist in Andrea Behrendts filmischer Dokumentation der Befreiungsfeier (2005) zu sehen und zu hören [Min. 2:14 – 6:30].

Anni Kupper

„Wir versuchten, eine die andere zu trösten und uns damit diese Bitternis unseres jungen Lebens zu erleichtern.“

Anni Kupper, eine alte Frau mit weißen kurzen Haaren, sitzt auf einem Stuhl an der frischen Luft. Um sie herum sind weitere Menschen. Sie alle schauen und hören gerade bei etwas zu.Anni Kupper wurde 1929 in Kärnten geboren. Sie und ihre Familie gehörten dort zur slowenischen Minderheit und unterstützten die im Wald versteckten slowenischen Partisan*innen mit Lebensmitteln. Im November 1944 wurde Anni Kupper von der Gestapo verhaftet. Im Januar 1945 wurde sie ins Jugend-KZ Uckermark deportiert. Nach der Befreiung kam Anni Kupper zurück nach Kärnten. In den 1970er Jahren tat sie sich mit anderen Slowen*innen, die im KZ Uckermark inhaftiert gewesen waren, zusammen: „Dann haben wir uns in Kärnten organisiert und sind wieder zusammengekommen.“ Anni Kupper starb im Jahr 2010.

Irma Trksak

„Ich sag immer, ich habe drei – in den Augen der Nazis – drei Verbrechen auf meinem Kerbholz. Erstens einmal sind es die Flugblätter, die wir verfasst haben, bevor der Krieg war. […] Das zweite war dann das Schreiben von Kettenbriefen an die Soldaten […]. Und als Drittes haben wir auch versucht […]‚ Sand zu streuen in das Getriebe der Kriegsmaschinerie‘.“

Porträtfoto von Irma Trksak, einer alten lächelnden alten Frau mit schulterlangem grauen Haar und Baskenmütze. Im Hintergrund eine Pflanze.Irma Trksak wurde am 2. Oktober 1917 in Wien geboren. Sie war im Widerstand aktiv. Ihre Gruppe vervielfältigte Flugblätter, verteilte sie und half bei Sabotage-Aktionen mit. Viele Mitglieder der Gruppe, zu der auch einer von Irmas Brüdern und ihr Verlobter gehörten, wurden im Laufe der Zeit verhaftet, 20 von ihnen wurden hingerichtet. Am 29. September 1941 wurde Irma Trksak von der Gestapo verhaftet und ein Jahr lang im Wiener Polizeigefängnis Roßauer Lände inhaftiert. Von dort wurde sie mit weiteren Frauen aus der Widerstandsgruppe ins Frauen-KZ Ravensbrück deportiert. Sie musste Zwangsarbeit bei Siemens leisten, wo sie als Schreiberin die Arbeitsleistung der Häftlinge verzeichnen musste. Sie verfälschte die Statistik der Arbeitsleistungen, um so andere Mitgefangene zu schützen. Nachdem sie denunziert worden war, wurde sie als Strafe in den Vernichtungsort Uckermark deportiert. Ende April 1945 wurden Irma Trksak und ihre Freundinnen auf den Todesmarsch getrieben, von dem sie am 29. April 1945 fliehen konnten.
Rückblickend sind für sie diese letzten Monate im Konzentrationslager die „schwerste Zeit ihres Lebens“. 1947 war sie Zeugin in den Hamburger Ravensbrück-Prozessen. Im selben Jahr war sie eine der Gründer*innen der Österreichischen Lagergemeinschaft Ravensbrück, in der sie viele Jahre aktiv war. Irma engagierte sich viele Jahrzehnte lang als Zeitzeugin. Bis über ihr 90. Lebensjahr hinaus nahm sie an vielen Gedenkfeiern zum Jahrestag der Befreiung in Ravensbrück und Uckermark teil, sprach auf Gedenkfeiern und besuchte Bau- und Begegnungscamps zum Konzentrationslager Uckermark. Sie starb 2017 in Wien.